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Paradies Holbox: Die teuerste Taxifahrt meines Lebens


Wandmalerei

 

Ekchuah, Gott der Reisenden, hatte meine Stoßgebete erhört. Mit letzter Kraft hievte ich mich vor dem Eingang des Hostels vom Golfcart des Grauens, bezahlte den mexikanischen Michael Schumacher und stieg die drei Stufen zur Rezeption empor. Hinter der Theke stand ein junger Mann mit schulterlangem Haar. Als er mich ankommen hörte, hob er den Kopf.


- Katharina?


Katharina. Noch nie hatten die Mexikaner meinen Namen richtig aussprechen können. Die Aneinanderreihung bestimmter Konsonanten fiel ihnen, auch im Englischen, zu artikulieren unglaublich schwer, sodass sie ihre Nachrichten per Uasäp oder Eskaib verschickten, aus jeder strategy eine Esträdeschi machten und aus mir eben eine Katharina – oder Catalina. Ich hatte den Akzent der Mexikaner immer hinreißend gefunden und meinen neuen Spitznamen geliebt, bis mir, nach meinem ersten langen Aufenthalt wieder zurück in meiner Heimat, eines Tages ein Latino Tränen lachend eröffnete, dass Catalina ursprünglich im Kastilischen eigentlich „Scheißhaufen“ bedeutete.


- Ja, hallo!

- Ah, wir haben schon versucht, dich zu erreichen. Willkommen!

- Vielen Dank! Ach, tatsächlich?

- Ja, der Fahrer vom Shuttle hat dich am Flughafen nicht finden können, wie bist du denn von Cancún jetzt zur Fähre gekommen?


Ohne, dass ich es hätte benennen können, machte sich in der Gegend meines Magens dumpf ein unangenehmes Gefühl leiser Vorahnung breit.


- Dann warst das also nicht du, mit dem ich telefoniert habe?

- Was meinst du?

- Wir haben vom Flughafen aus hier angerufen, weil ich das Shuttle nicht finden konnte, und jemand vom Hostel hat mir dann gesagt, ich solle mit dem Taxi fahren, weil es Probleme mit der Camioneta gebe.

- Was?

- Ja, die Person hat gesagt, die Kosten fürs Taxi würden mir dann hier im Hotel rückerstattet.


Stille. Ich stützte mich mit den Unterarmen an der Theke ab, nahm mein Gesicht zwischen meine Hände und sah den jungen Mann mit vor Schreck aufgerissenen Augen an. Nach und nach dämmerte mir, was hier gerade passierte.


- Also, ich weiß nicht, mit wem du da gesprochen hast, aber unser Fahrer hat dich am Flughafen gesucht, wir haben dir mehrere Nachrichten geschickt.

- Ich hatte dort kein Internet.

- Oje. Es tut mir sehr leid, aber von einem Taxi wissen wir nichts!


Mir wurde schlecht, ich spürte die Farbe aus meinem Gesicht weichen. Es gab keinen Zweifel mehr, ich war Opfer eines Betruges geworden und hatte in meiner Abgeschlagenheit nach dem langen Flug gegenüber den Aussagen des Flughafenangestellten und des nunmehr zum Mysterium mutierten Hostelmitarbeiters am anderen Ende der Telefonleitung nicht den geringsten Vorbehalt gehegt.


Für die etwa dreistündige Fahrt mit dem Taxi hatte ich mehrere hundert Euro bezahlt. Ich vergrub mein Gesicht in den Händen. Meine Müdigkeit war mit einem Schlag von tiefgreifender Verzweiflung abgelöst worden. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf, und in meinem Bauch rumorte ein wildes Sammelsurium aus Wut, Hilflosigkeit, Heimweh und dem akuten Bedürfnis, alles hinzuschmeißen, mich hinzulegen und auf der Stelle zu sterben. Bitte sag, dass das nicht wahr ist.


Ich war verwirrt, wollte es nicht glauben. Wie hatte ich derart dumm sein können, derart blind? Am schlimmsten jedoch war die alles überschattende, tiefe Enttäuschung darüber, dass mein heiß ersehntes Mexiko mich derart hintergangen und vor den Kopf gestoßen hatte. Es mochte naiv sein, infantil sogar – und doch fühlte ich mich, als hätte man sich völlig unvorbereitet von mir getrennt mit den Worten, ich habe eine Andere und liebe dich nicht mehr. So existentiell wichtig war mir dieses Land über die Jahre geworden, so sehr hatte ich es unentwegt zu meinem ganz persönlichen romantischen Ideal stilisiert. Und so bitter schmerzte in diesem Augenblick die Ohrfeige, die mich aus dem sicheren Schutz meiner romantischen Blase unversehens auf den knallharten Boden der Realität schmetterte.


In einem kleinen Seitenwinkel meines Magens spürte ich, wie allmählich Misstrauen aufkam. Irgendetwas war doch komisch an diesem Typen. War es seine Stimme, die mir vom Telefon bekannt vorkam? War es der Umstand, dass er meines Erachtens sich viel zu wenig aus meiner offensichtlichen Erschütterung machte und quasi stumm und annähernd gleichgültig seine Arbeit fortsetzte? Ich versuchte, den Gedanken abzuschütteln. Wenn seine Person tatsächlich an dem perfiden Manöver beteiligt gewesen war, hätte ich das ohnehin niemals beweisen können. Es war jetzt, wie es nun einmal war, und ich konnte es nicht mehr rückgängig machen.


Zerknirscht bezahlte ich für meinen Aufenthalt, nahm den Gutschein, den er mir nun reichte mit den Worten, hier, trink ein Bier an der Bar, vielleicht muntert dich das auf – ein wahrlich schwacher Trost –, mit einem leisen Dankeschön entgegen, bezog mein Zimmer und ließ mich auf das Bett fallen.


Schon immer hatte meine emotionale Wahrnehmung - die Art, auf die ich Beziehungen zwischenmenschlicher Natur erlebte, Situationen, die mir widerfuhren –, eine augenblickliche Einteilung in die Kategorien Schwarz und Weiß vorgenommen. Unentwegt schwankte meine Auffassung von dieser Welt zwischen den dualisierenden Extremen von Gut und Böse, von Liebe und Hass, Paradies und Hölle, Exzellenz und Versagen. Ob es anderen Menschen ähnlich ging? Ob ich die Grautöne dieser Welt jemals würde erfassen können, nicht nur rational? Verinnerlichen, dass Menschen nicht etwa ausschließlich wohlwollend waren oder nur schlecht, sondern eben beides gleichermaßen innehatten? Ich ahnte, dass man das ganze Spektrum annehmen musste, um zu innerer Gelassenheit zu finden. Und heulte mich dann in einen Schlaf, der bis tief in die Nachmittagsstunden des nächsten Tages dauern sollte.



Okay, ist ja alles schön und gut. Aber wie ist es denn nun tatsächlich dort - im Paradies? Hier weiterlesen

 
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