top of page
  • AutorenbildCatalina

Willkommen in Mexiko: Der zweite folgt sogleich


Bier

 

Ziellos irrte ich auf dem Gelände vor dem Terminal umher. Das Restaurant, El Aguacate, vor dessen Eingang mich laut Auskunft meines Hostels ein Shuttle-Transfer einsammeln würde, war weit und breit nicht zu entdecken. Wo war ich überhaupt? Welches Terminal hatten sie in der E-Mail noch mal angegeben? Ich kramte mein Telefon aus dem Beutel. Kein Internet. Doch gar nicht so smart, dieses phone, dachte ich resignierend, und meinem inneren Auge wurde vor lauter Rollen schon schwindelig, als ein freundlich dreinblickender Herr mittleren Alters und mit Namensschild, das ihn als Servicemitarbeiter des Flughafens auswies, auf mich zu kam. Brauchen Sie Hilfe? So gut es ging, schilderte ich ihm mein Dilemma, dankbar, und erinnerte mich daran, wie aufmerksam und hilfsbereit die Mexikaner stets gewesen waren. Hm. Ein Restaurant, das so heißt, gibt es hier nicht. Geben Sie mir doch die Nummer von Ihrem Hostel, dann fragen wir mal nach. Er wählte, sprach kurz und begleitet von ausladenden Gesten in pfeilschnellem Mexikanisch und hielt mir dann mit ausgestrecktem Arm und aufforderndem Lächeln sein Telefon vors Gesicht.


– Bueno?

– Hallo, Katharina?

– Ja? 

– Katharina, ich bin hier im Hostel. Wir haben ein Problem mit der Camioneta, du musst bitte ein Taxi nehmen. 

 Ein Taxi? 

 Ja. Das kostet soundso viel. 

Was, so viel? 

– Ja, aber die Kosten erstatten wir dir natürlich, sobald du ankommst. Es tut mir sehr leid. 

– In Ordnung... 

– Bis bald, wir sehen dich dann hier. Und gute Reise!


Die knapp zwanzig Stunden Anreise hatten mich müde gemacht, und in zentraleuropäischer Gutgläubigkeit, oder vielleicht einfach in der mir eigenen, voll Vertrauen jedenfalls in das sympathische Lachen und das Namensschild des Flughafenmitarbeiters, stieg ich – mutterseelenallein – auf die Rückbank eines weißen Vans.


Ein ganz besonders kleingewachsener Mexikaner, seinen ausgeschmückten Schilderungen nach war er auf der Isla Mujeres aufgewachsen und lebte dort immer noch mit seiner Familie, löcherte mir den Bauch mit Fragen über mein Heimatland Australien. Ich schmunzelte. Wieder einmal war ich veranlasst, an die T-Shirts zu denken, die sie im Alpenland verkauften – no kangaroos in Austria. Ich brachte es nicht übers Herz und war auch viel zu erschöpft, ihn aufzuklären. Wie viele Male war ich auf meinen Reisen mit diesem irrwitzigen Missverständnis konfrontiert gewesen? Mit jeder dieser Begegnungen, wenn ich die Muße gehabt hatte, mein Gegenüber über die Verortung Österreichs zu unterrichten, war ich in meinem jugendlichen Heimatstolz ein wenig bescheidener, ein bisschen kleinlauter geworden. Für jede einzelne würde ich Jahre später dankbar sein.


Der Van bog auf eine unbefestigte Landstraße ein. Mir wurde mulmig zumute. War das wirklich der Weg zur Fähre? Mit einem kurzen Seitenblick, einer leichten Kopfdrehung, schielte mein Fahrer zu mir nach hinten, und als hätte er meine Gedanken gelesen, erzählte er lachend von einem jungen Mädchen, das er vor einiger Zeit auf derselben Strecke chauffiert hatte. Ganz allein sei sie gewesen, genau wie ich, und aus Australien – genau wie ich. Als sie in ebendiese Straße eingebogen seien, habe sie zu weinen begonnen. Dachte wohl, ich wolle sie entführen, mutmaßte er schulterzuckend und mit einem Grinsen, das eine Reihe goldener Backenzähne aufblitzen ließ. Kurz stockte mir der Atem, aber ich lächelte zurück, verhalten, ließ mir meine zunehmende Verunsicherung nicht anmerken, blickte aus dem Fenster, umklammerte meinen Beutel. Wird schon schiefgehen.


Die Fahrt zog sich scheinbar ewig hin. Später würde ich nicht mehr mit Sicherheit sagen können, wie lange sie tatsächlich gedauert hatte – erschreckend bewusst allerdings wurde mir durchaus, von welchem Glück ich reden konnte. Trotz all meiner Unvorsichtigkeit und Naivität war ich irgendwann heil an der Fähranlegestelle angekommen.


Es sollte die teuerste Taxifahrt meines Lebens sein. Von einer Rückerstattung des horrenden Betrages wusste man im Hostel rein gar nichts, und meine mexikanischen Freunde würden hinterher, wenn ich ihnen von dem Vorfall berichtete, sich nicht entschließen können, ob sie schallend lachen oder die Mutter von betreffendem Herren, der mir am Flughafen so emsig zur Hilfe geeilt war, mit wüsten Schimpftiraden bedenken sollten. Hijo de su... tja, willkommen in Mexiko, resümierte einer von ihnen treffend das Geschehene. 


Ich würde niemals herausfinden, ob der Anruf in Wirklichkeit bei einem socio, einem Partner des Flughafenangestellten in dessen zwielichtigen Machenschaften, erfolgt oder ob das Hostel tatsächlich in den gelungenen Coup involviert gewesen war, und im Grunde war es einerlei. Und doch – bei aller Entschädigung, die der Anblick dieser schneeweißen Strände bot, wie sie das üppige Grün dicker Kokospalmen und das klare Türkis des karibischen Meeres dividierten, von Hängematten, die über dem Wasserspiegel zu schweben schienen – tagelang konnte ich nicht umhin, mich maßlos aufzuregen. Über Korruption, über das aberfreundliche Lächeln dieses Mannes, der vom ersten Moment an um meine Hilflosigkeit, meine Übermüdung und Anfälligkeit gewusst haben musste. Vor allem aber über mich selbst, die ich derart unaufmerksam gewesen war, nicht hinterfragt, einfach blind vertraut hatte.


Erst, als der Aufenthalt am ersten Stopp dieser Reise in meine Vergangenheit, hier im Paradies, sich bereits dem Ende geneigt hatte, erst dann entschloss ich mich, meinen Ärger über Bord zu werfen, ihn im kühlen Prickeln etlicher Flaschen Bohemia, diesem köstlichen mexikanischen Bräu, zu ertränken.

Ein guter Freund aus der Heimat ohne Kängurus hatte mich gefragt: Wird das alles, dieses Erlebnis, das verlorene Geld, in einem Jahr dein Leben noch beeinflussen? Still antwortete ich mit einem nachdenklichen Nein – hoffe ich zumindest. Entschied, mich einzulassen auf dieses Mexiko – dieses Land, das ich seit meiner Abreise ein knappes Jahrzehnt lang stets romantisiert hatte, und das mich schon in der ersten Minute nach meiner neuerlichen Ankunft mit all seinen Kontroversen begrüßte. Mein Abenteuer konnte beginnen.

Hatte es eigentlich längst.



Gespannt, wie es weitergeht? Überfahrt auf der Arche Noah

 
229 Ansichten

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
bottom of page